Wo Geister und Dämonen wohnen

Der Glaube, dass Wüsten von Dämonen und Geistern bewohnt sind, hat eine erstaunlich lange Geschichte – bis heute. Diese Wesen gelten oft als gefährlich, bedrohlich oder zumindest ambivalent. Bereits Texte und Artefakte aus dem antiken Mesopotamien belegen das Bild der Wüste als Raum, welcher der geordneten Welt gegenübersteht, und in dem sich „Anders-Wesen“ wie krankheitsbringende Dämonen oder unversorgte Geister von Verstorbenen aufhalten. Die Andersartigkeit der Dämonen und ihre Verbindung zur Wüste werden häufig durch ihre Mischwesengestalt ausgedrückt.

Eine solche negative Gestalt ist die mesopotamische Dämonin Lamaschtu. Diese Krankheitsdämonin hatte es insbesondere auf Säuglinge abgesehen. Typische Elemente ihrer Gestalt, welche auf Schutzamuletten dargestellt ist, sind ihr Löwenkopf mit Mähne und Kopfschmuck, Eselsohren, ihr nackter Oberkörper mit hängenden Brüsten sowie Vogelfüße. Häufig hält sie Schlangen in den Händen; ein Schwein und ein Hund saugen an ihrer Brust.

 


Schutzamulett gegen die Dämonin Lamaschtu
(Mesopotamien, ca. 900–600 v. Chr.). Louvre.


Zeichnung des Lamaschtu-Amuletts.
Mesopotamische Amulette gegen Lamaschtu bestehen oft aus mehreren Bildregistern. In der Hauptszene im unteren Register ist die Dämonin auf einem Esel stehend in einem Boot dargestellt, das sie in die Unterwelt bringen soll. Hinter Lamaschtu steht der Dämon Pazuzu, der Lamaschtu mit erhobenem Arm abwehrt. Im rechten Bereich des Registers sind verschiedene Gegenstände dargestellt, die man in Abwehrritualen der Dämonin als Reiseproviant mitgab. Weitere Register zeigen eine Szene mit mythischen Heilern, die einen im Bett liegenden Kranken betreuen, weitere Schutzdämonen in Abwehrgestus sowie eine Reihe von Göttersymbolen. Am oberen Rand des Amuletts lugt der Kopf des Dämons Pazuzu hervor.


Figurine des Dämonen Pazuzu
(Replik; Mesopotamien; ca. 900–600 v. Chr.).
Der Dämon Pazuzu war der Gegenspieler der Lamaschtu. Er wurde in Form von Statuetten, auf Amuletten oder Anhängern dargestellt. Im Westen bekannt geworden durch den Film „Der Exorzist“ (1973), galt Pazuzu im alten Mesopotamien als ambivalenter Akteur. An seiner unverwechselbaren Gestalt stechen sein Hundemaul mit den gefletschten Zähnen, der Hundeleib, die Vogelfüße, Raubtierpranken, der Skorpionschwanz und der erigierte Penis mit Schlangenkopf hervor. Pazuzu konnte auch mit Flügeln dargestellt werden, die ihn als Winddämon ausweisen.


Schutzamulett gegen die Dämonin Gelou, auch Lamia genannt, mit griechischer Inschrift (Ägypten; 4.–7. Jh. n. Chr.).
Das Motiv der kindstötenden Dämonin wurde in vielen Kulturen der Antike und des Mittelalters überliefert. Sie erscheint je nach kulturellem Kontext unter verschiedenen Namen. Auch die Tradition magischer Schutzamulette lebte fort. Auf einem frühbyzantinischen Bronzemedaillon wird die kindstötende Dämonin Gelou (halb Schlange, halb Frau) auf dem Boden liegend von einem Reiterheiligen (dem heiligen Sisinnos, dem Schutzpatron der Kinder) mit einem Kreuzstab durchbohrt. Die Schlange, ein bedrohliches Tier der Wüste, erscheint hier als Sinnbild für Tod, Verderben und das Böse schlechthin. Die Assoziation von tödlichen Wüstenschlangen mit einer mächtigen weiblichen Dämonin erinnert an Medusa in der griechischen Mythologie, deren Kopf auf Amuletten als Schutz gegen böse Mächte fungiert.


Zeichnung des Schutzamuletts gegen die Dämonin Gelou