Ein Ort für Rituale, Gottsucher und Offenbarungen

Wie auch in den Nachbarkulturen Mesopotamiens und Ägyptens diente die Wüste im antiken Israel als ritueller Verbannungsort für Unreinheiten und Übel. So erwähnt das Alte Testament ein Sühnefest der Israeliten, in dem sie einen Ziegenbock, beladen mit ihren Sünden, zum Dämon Asasel in die Wüste schickten.

Die Figuren des Sündenbocks und des Dämons Asasel finden sich in der bocksfüßigen Gestalt des Teufels (Satan) im Christentum wieder: Das Böse bzw. Sündhafte wurde mit dem Ziegenbock assoziiert. Diese Assoziation wurde auch durch die Figuren des Gottes Pan und der lüsternen Satyrn in der griechischen Mythologie beeinflusst. Doch auch andere Wüstentiere wie Schlangen und Löwen können im Christentum das Böse symbolisieren.

Vor diesem Hintergrund stellten sich die Israeliten und später die Christen übernatürliche, böse Wesen als bockartige Kreaturen vor. Diese konnten den Menschen in einer direkten Begegnung gefährlich werden, indem sie in ihrer natürlichen Form oder als Gestaltenwandler durch die Wüsten zogen und die Menschen durch Versuchungen (z. B. Visionen) in ihrem Glauben an Gott auf die Probe stellten. So wurde die Wüste auch als ein Ort der Prüfung am Rand der Welt wahrgenommen. Ab dem frühen Christentum suchten Einsiedler die Wüste mit dem Ziel auf, sich in einem spirituellen Kampf gegen diese Wesen (böse Geister, gefallene Engel und sogar den Teufel selbst) zu behaupten.

Daneben galt die Wüste auch als Zufluchtsort. Die älteste Geschichte über eine Flucht in die Wüste findet sich im Alten Testament (Buch Exodus). Dort begibt sich Mose gemeinsam mit den Israeliten von Ägypten auf eine 40 Jahre währende Reise durch die Wüste, um das Heilige Land Israel zu erreichen. Auf ihrem Weg empfangen die Israeliten am Berg Sinai ihre Heiligen Gesetze. Sie werden in der Wüste mehrfach durch Hunger, Durst und Hitze von Gott auf die Probe gestellt, aber schließlich durch Wunder errettet. Auch ist es ihnen möglich, direkt mit Gott und seinen Engeln in Kontakt zu treten, sodass die Wüste in der Heiligen Schrift auch als ein Ort göttlicher Offenbarung gewürdigt wird.

„Von der Gemeinde der Israeliten soll er zwei Ziegenböcke für ein Sündopfer […] nehmen. […] Für die beiden Böcke soll er Lose kennzeichnen, ein Los für den Herrn und ein Los für Asasel. […] Der Bock, für den das Los für Asasel herauskommt, soll lebend vor den Herrn gestellt werden, um für ihn Sühne zu erwirken, damit er für Asasel in die Wüste geschickt werde. […] (Der Priester) soll seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bockes legen und über ihm alle Schuld der Israeliten und alle ihre Frevel mitsamt all ihrer Sünden bekennen. Nachdem er sie so auf den Kopf des Bockes geladen hat, soll er ihn durch einen bereitstehenden Mann in die Wüste schicken und der Bock soll alle ihre Sünden mit sich in die Einöde tragen. Hat er den Bock in die Wüste geschickt, dann soll (der Priester) seinen Körper in Wasser an einem heiligen Ort baden, […]. Der Mann, der den Bock für Asasel weggeschickt hat, muss seine Kleider waschen, seinen Körper in Wasser baden und darf danach wieder in das Lager kommen.“
(Zit. Versöhnungstag, Levitikus, Buch III, Kap. 16,5–28)


Wüstengeist Asasel und Sündenbock. Elfenbeinintarsie aus Megiddo (12. Jh. v. Chr.).


Tonschale mit Figuren des tanzenden bocksbeinigen Gottes Pan und eines Satyrs mit Blasinstrument (Tunesien; 4.–5. Jh. n. Chr.).


Bildlampe aus Tunesien, 5. Jh. n. Chr.
Im Spiegel Christus, der über Nattern und Löwen schreitet, von Engeln flankiert. Die Szene verweist auf Jesu Überwindung des Teufels während seines 40-tägigen Aufenthalts in der Wüste.


Die Prüfung des Heiligen Antonius in der Wüste.
Der „Wüstenvater“ und Eremit wurde von Visionen verschiedener Dämonen heimgesucht. Gemälde von Salvator Rosa (1645). Pinacoteca Rambaldi di Villa Luca a Coldirodi, San Remo (Italien).